Basinio da Parma, Hesperis: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 24. Mai 2022, 17:38 Uhr
Autor
Basinio da Parma, geboren 1425 bei Parma und verstorben 1457 in Rimini, gehört trotz seiner kurzen Lebensspanne zu den bedeutendsten lateinischen Dichtern des 15. Jahrhunderts und der humanistischen Literatur insgesamt. Das liegt zunächst an der Fülle und der Breite seines Schaffens: Basinio legte neben zahlreichen kleinen epischen und elegischen Texten mit dem Liber Isottaeus einen literatursoziologisch hochspannenden panegyrischen Elegienzyklus und mit der Meleagris, den Astronomicon libri und insbesondere der Hesperis Meilensteine in der hexametrischen Dichtung seiner Epoche vor (dazu mehr unter ‚Werk‘). Zudem verdichtet sich in Basinios professioneller Biographie als Dichter aber auch der zwar nicht spezifisch, in jedem Fall aber typisch humanistische Werdegang eines Hofdichters und beruflichen Literaten, der zwischen seinen panegyrischen Obliegenheiten und dem Beharren auf der eigenen künstlerischen Autonomie in steten Aushandlungsprozessen stand. Nach einer frühen Ausbildung in der Heimatstadt Parma und Studien bei Vittorion da Feltre in Mantua gelang es ihm früh und dank der Förderung seines Lehrers Guarino Veronese, am Hof der Este in Ferrara, wohin er seinem Griechischlehrer Theodorus Gaza gefolgt war, auf sich aufmerksam zu machen: Für Markgraf Leonello d’Este verfasste er die Meleagris, in der er die für einen Aristokraten typische Jagdbegeisterung des Adressaten mit seiner eigenen profunden mythographischen Kenntnis und Fähigkeit, schnell hochwertige lateinische Verse in großem Umfang zu verfertigen, verband. Kleinere Tätigkeiten in diplomatischen Dienstens des Este-Staates folgten, doch spätestens im Jahr 1449 orientierte Basinio sich nach Rimini, dessen Herrscher Sigismondo Malatesta in den 1440er-Jahren begonnen hatte, unter Aufbringung großer Mittel als Patron von Architektur, Kunst und Literatur von sich reden zu machen und einen humanistischen Hof um sich zu scharen. Die bis heute sichtbarsten Zeugnisse dieser Bestrebungen sind der Tempio Malatestiano genannte Umbau der Kathedralkirche San Francesco und das Castel Sismondo in Rimini. An der Planung beider war Leon Battista Alberti beteiligt. Auch bedeutende Maler wie Piero della Francesca oder der Medailleur Matteo de’Pasti erhielten Aufträge von Sigismondo. Basinio wurde spätestens mit dem Liber Isottaeus, einer Briefelegiensammlung, in der der Dichter Sigismondo, seine Mätresse Isotta degli Atti, deren Vater und sich selbst eine Stimme gibt, zu Sigismondos bevorzugtem Hofdichter und, neben Roberto Valturio, seinem engstem Vertrauter in kulturellen Fragen. Basinios intensivste Schaffensphase begann erst in Rimini: Dort verfasste er neben den Astronomicon libri, einem astronomischen Lehrgedicht, und einer fragmentarisch gebliebenen Argonautica vor allem die Hesperis, das mit knapp 7000 Versen bis dahin umfangreichste Epos der neulateinischen Literatur und auch das erste panegyrisch-zeitgeschichtliche Epos, das nicht unvollendet bzw. bloße, im Sinne einer recusatio kokettierende Ankündigung geblieben ist. Basinio wusste die Gunst seines Mäzens mit Leistung zu erwidern, aber auch seine eigene Position am Hofe streitbar zu untermauern. So gaben seine eigenen ausgezeichneten Griechischkenntnisse (er war von Papst Nikolaus V. ersucht worden, die Ilias zu übersetzen, und plante mit der Polydoreis sogar ein eigenes griechischsprachiges Epos) und der Mangel ebensolcher bei zwei seiner Konkurrenten am Hof, Porcellio Pandoni und Tommaso Seneca da Camerino ihm den Anlass zu wüsten wechselseitigen Polemiken und zur Untermauerung seiner Ausnahmestellung bei Hofe. Sigismondo Malatestas zunehmende Isolation nach dem Frieden von Lodi 1454 konnte Basinio noch zu Kenntnis nehmen, sie fand Eingang in sein panegyrisches Schaffen aber allenfalls in dem Nach- und Überdruck, mit dem der Dichter seinen Herrn (und sich selbst als dessen wichtigstes Sprachrohr) feierte – den Niedergang des Hauses Malatesta erlebte er aber nicht mehr: Bereits 1457 starb er, ohne sein Projekt einer Argonautica abgeschlossen zu haben. Sigismondo ließ den Dichter an prominenter Stelle in einem Sarkophag an der Flanke des Tempio Malatestiano bestatten – das von Basinio selbst verfasste und im Testament festgehaltene Grabepigramm Parma mihi patria est, sunt sidera carmen et arma ziert diesen allerdings nicht.
Werk
Auch wenn Basinio seinem literarischen Schaffen mit der Grabinschrift eine Sphragis geben zu wollen schien, die die heroische Hesperis gleichauf mit den didaktischen Astronomicon libri sieht, so ist in Umfang und Bedeutung doch ganz klar die Hesperis der Angel- und Gipfelpunkt seines Schaffens. Sein erstes Lebenszeichen war der Elegienzyklus Cyris, in dem er sich aus verschiedensten Situationen und Stationen an die Titelgebende Geliebte wendet: So erleben wir ihn dort etwa als Belagerten in diplomatischen Diensten der Este. Den ersten seiner literaturhistorischen Rekorde stellte er mit der Abfassung der Meleagris Mitte der 1440er-Jahre auf. Mit über 2000 Versen ist das Werk nicht nur das bis dahin längste mythologische Epos des Humanismus, es stellt auch die umfangreichste Bearbeitung des Stoffs, der Jagd auf den kalydonischen Eber, dar. Auch viele von Basinios Carmina varia, vom Autor selbst nicht als zusammenhängendes Werk angelegt, stammen aus seiner Zeit in Ferrara. Es handelt sich dabei überwiegend um Versepisteln an seinen Patron Leonello d’Este, aber auch an bedeutende Humanisten wie Maffeo Vegio und Künstler wie Matteo de’Pasti. Bedeutsam ist auch eine metrische Recusatio an Papst Nikolaus V., der an Basinio herangetreten sei mit der Bitte, die Ilias ins Lateinische zu übersetzen. Es fällt auf, dass Basinio nicht nur mit antiken Vorbildern in ein Spiel aus imitatio und aemulatio eintritt. Vor allem der genannte Maffeo Vegio ist es, den er aus wetteifernder Verehrung heraus in mehreren Projekten nachahmen und überbieten zu wollen scheint, sei es die Übertreffung von Vegios Astyanax durch Meleagris und die geplante griechische Polydoreis, die fragmentarische Argonautica als Antwort auf Vegios Vellus aureum oder eben die Hesperis mit ihren 13 Büchern als Gegenstück zu Vegios bekanntem 13. Buch der Aeneis. Der Anbahnung eines Karrieresprungs mit der Übersiedlung nach Rimini dienten in den Carmina varia zwei epische Versepisteln, die Sigismondo Malatestas militärische Erfolge im Piceno bzw. in Piombino preisen. Bemerkenswert bzw. symptomatisch für Basinios Dichtung ist hier der Umstand, dass er aus beiden wesentliche Partien in die Hesperis übernommen hat, allerdings nicht im bloßen Selbstplagiat, tatsächlich unterstreicht er durch Arrangement und Einbettung des bereits vorhandenen Materials gegenüber dem Widmungsadressaten, dass er seiner vollmundigen Ankündigung nachgekommen ist, die also nicht bloß kokettierende recusatio war. Zur elegischen Liebesdichtung zurück kehrt Basinio mit den vier Büchern des Liber Isottaeus, mit dem er den ovidischen Heroidenbrief in ganz eigenwilliger Weise aktualisiert. Sigismondo Malatesta hatte sich um 1445 in die wesentlich jüngere Isotta degli Atti, die Tochter eines lokalen Adligen, verliebt und die Affäre mit großem Aplomb inszeniert – so hat etwa die Umgestaltung einer Seitenkapelle von San Francesco zu ihrer Grablege den Anstoß für das Projekt des Tempio Malatestiano insgesamt gegeben. Im Isottaeus kommen nun Isotta, Sigismondo, Isottas Vater und Basinio selbst als personae in Briefkontakt, Sigismondo im Heerlager und Isotta daheim zergehen in wechselseitiger Sehnsucht, der Vater rät der Tochter davon ab, sich mit dem gottgleichen größten Krieger ihrer Zeit einzulassen, ist dann aber doch einverstanden mit der Liaison und der Dichter wird nicht müde, seine eigene Rolle in dem ganzen Drei- bis Viereck zu betonen. Gipfelpunkt ist der elegisch beklagte, aber frei erfundene Tod der jungen Isotta (die in der Realität Sigismondo um einige Jahre überleben sollte). Zwischen den Werken Basinios gibt es inhaltliche Querverweise und Kontinuitätslinien: So ist etwa Isottas Tod im Isottaeus Voraussetzung dafür, dass der Sigismondo der Hesperis ihren vergöttlichten Avatar Isothea auf der Insel der Glückseligen treffen kann, als Panegyriker schuf Basinio also eine komplexe, episch-elegisch story world, in der selbstbewusst und gewitzt mit den Figuren seines höfischen Nahumfelds spielen konnte. Die Fäden dieser Anlagen laufen in der Hesperis als ihrem vorläufigen Höhepunkt zusammen. Dass die fragmentarische Argonautica oder die Polydoreis, die Basinio nicht mehr fertig stellen konnte, Anteil an dieser Welt gehabt hätten, ist eher unwahrscheinlich, da sie nach Basinios Ausflügen in das zeithistorische Sujet ja wieder in der mythischen Vorzeit spielen – durch Widmung oder typologische Inbezugsetzung der antiken Heroen zu Sigismondo wären sie sicherlich dennoch erkennbar panegyrisch gewesen.
Hintergründe zum Text
Die hier als Lektüre vorgeschlagene kurze Passage entstammt dem zehnten Buch der Hesperis. Der Held Sigismondo Malatesta hat auf Aufforderung seines verstorbenen Vaters in einer nächtlichen Vision eine Seereise nach Westen zur Insel der Glückseligen unternommen, wo sich eine Liebesgeschichte mit dem göttlichen Avatar seiner Mätresse (in der Chronologie der Handlung) bzw. Ehefrau (textextern zum Zeitpunkt der Abfassung) Isotta degli Atti entfaltet und diese ihm auf einem ausgedehnten Unterweltgang die mythhistorische Tiefendimension seiner militärischen Unternehmungen erläutert. Eigentlich handelte sich dabei um zwei Feldzüge, bei der er eine Koalitionsarmee unter florentinischer Führung gegen die Expansionsbestrebungen des aragonesischen Neapel in der Toskana befehligte (1448 und 1452/53). In Basinios epischer Überhöhung wird daraus aber ein existenzieller Kampf der italischen Zivilisation gegen die „keltischen“ Barbaren und ihr Vielvölkerheer. Mit einer Analepse wird der Leser außerdem über Sigismondos Jugend und seine ersten erfolgreichen militärischen Operationen in Kenntnis gesetzt. Die Fahrt in den Westen ist, auch wenn sich viele ihrer Details über Bezüge zum zeitgenössischen Neuplatonismus und dantesken Anleihen erklären lassen, insgesamt eine der rätselhafteren Passagen in der Hesperis. Sie dient, schon angesichts des Umfangs, sicher nicht allein dazu, mit einer Art „lautem Schweigen“ zu überblenden, dass der Malatesta in den Jahren 1449-1452 vor allem mit regionalen Konflikten mit seinem – in der Hesperis gänzlich verschwiegenen – Erzrivalen Federico da Montefeltro von Urbino beschäftigt war, die er nicht zu seinen Gunsten entscheiden konnte. Vielmehr legt die intensive Auseinandersetzung mit mythographischen, kosmologischen und historischen Sachverhalten, die der Unterweltgang und die Unterredungen Sigismondos mit dem Windgott Zephyrus mit sich bringen, eine andere Fährte: Die überblendeten Jahre fallen in eins mit Basinios Übersiedlung nach Rimini und dem Beginn seines erfolgreichen Wirkens am Malatesta-Hof – dass Sigismondo durch direkte Begegnung mit der Sphäre des Mythischen als ein Gewandelter zurückkehrt, der die Tragweite seines Auftrags begreift und sich z.B. auch nicht auf das nur scheinbar humanistische Argumentieren seines Gegenspielers einsetzt, dass er mithin sein humanistisches coming-of-age durchlebt hat, kann als Chiffre dafür gelesen werden, dass er mit Basinio nun endlich einen kundigen Hofhumanisten und -dichter an seinem Hof hat, der seiner würdig ist. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Positionierung zu Basinios Lehrer Guarino, der auch Sigismondo gut kannte (der Malatesta hat viel Zeit in Ferrara verbracht und dort wesentliche Teile seiner humanistischen Bildung erworben), besondere Relevanz. Basinio inszeniert eine Generationenwende in der humanistischen Gelehrsamkeit: Die alten Granden der Bewegung sind vom Erfolg träge und selbstgefällig geworden und haben die Zuwendungen – munera – spendabler Mäzene wie Sigismondo nicht mehr verdient. Mit brillantem Witz lässt er (den Übersetzergott und Schöpfer des Alphabets) Merkur den feisten Hirten Carinus, dem vom vielen Faulenzen im Gras der Rücken schon ganz grün geworden ist, in einen Frosch verwandeln, verdammt, in den Sümpfen des Po-Deltas seinen Namen vor sich hin zu quaken (Basinio spielt mit dem Namen Guarino Guarini). Was den humanistischen Kunstmythos hier zu mehr als einer bloßen Kopie der Metamorphose der Lykischen Bauern macht, ist die Einbindung einer hermeneutischen tieferen Ebene, die auch bei vielen Metamorphosen Ovids erst den Reiz ausmacht: In der Verwandlung bzw. ihrem Ergebnis tritt das Wesen des Verwandelten deutlich, vielleicht noch deutlicher als zuvor zutage – nicht ohne Grund ist idem die häufigste Rekurrenz im Text.